Sonntag, 23. April 2023

Von Rattenfängern, Polit-Beratern, Stimmung und ehrlicher Politik.

 In wenigen Stunden geht sie also los, die Mitgliederbefragung. Und seit Tagen wird gestritten, debattiert, diskutiert, und ich lass es mir jetzt auch nicht nehmen, ein paar Gedanken niederzuschreiben, Weil das alles zu lang für Twitter ist, gibts einen Blogpost. Hab ich eh schon sehr lange nimmer gemacht.

Es gibt nämlich ein paar Sachen, die mich wirklich nerven.

Mich nervt, wie Doskozil zum einzigen hochstilisiert wird, der Kanzler kann. Das weiß niemand. Niemand kann sagen, ob Dosko schwarz-blau verhindert oder nicht. Dazu gibts einfach keine ausreichende Evidenz. Aber statt inhaltlicher Diskussionen wird dann gleich wieder gegen die "Lifestyle-Linken" losgeschossen. Mit dabei auch Mandatare, Landesgeschäftsführer und Menschen, die sich eigentlich drum kümmern sollten, dass eine Partei funktioniert. Stattdessen heizen sie ordentlich mit. Das wird ein Spaß, wenn das alles vorbei ist. 

 Mich nervt, wie taktiert wird. Taktieren ist noch niemals gut gegangen.

 Mich nervt, wie Menschen, die das können, Parteiinfrastruktur dazu missbrauchen, um Wahlempfehlungen oder als Information getarnte Wahlempfehlungen aussenden und sich dazu der Parteiverteiler bedienen.

Mich nerven Leute, die mit der Partei massiv Geld verdienen / verdient haben, jetzt ganz genau wissen, was zu tun ist. Offenbar war ihre Beraterleistung nicht sonderlich hilfreich, sonst wär die SPÖ nicht da wo sie jetzt wäre.

Mich nervt, wie abwertend in der Befragung all diese Basismenschen gesehen werden, die die Partei tragen. Die Zeitungen verteilen; Festln organisieren, Heurigenbankerl schleppen und noch so viel mehr. "Der Babler ist ein Rattenfänger, klar fallen die auf den rein" wird mir gesagt, so als wären unsere GenossInnen dumme Menschen, die sich nicht ihre eigene Meinung bilden können.

Mich nervt, wie jetzt darüber diskutiert wird ob Positionen mehrheitsfähig sind oder nicht, so als wäre Politik nicht genau das: Ein Programm haben, und schauen dass möglichst viele Leute davon überzeugt sind.

Die wirkliche Schande an der ganzen Geschichte ist, wie sich die Bundepartei - und dort die Geschäftsführung und die Clique rund um PRW - verhält Sie hat von Anfang an alles unternommen, um diese Befragung zu sabotieren. Das war am Anfang sogar noch irgendwie lustig, mittlerweile wirkt es nur mehr verzweifelt. Der schöne Gedanke an der Abstimmung: Nach dieser Wahl wirds einen neuen BGF geben, davon geh ich aus.

Aber es gibt auch was, das mich motiviert und mir Hoffnung gibt.

Seit über 15 Jahren bin ich jetzt in der SPÖ. Und am Dienstag war der Andi Babler in Wiener Neustadt. Ich hab das gemeinsam mit ein paar anderen organisiert. So eine Stimmung, so ein Knistern, so eine Freude, das hab ich in meiner Partei schon lange nicht mehr erlebt.

Da steht einer, der weiß von was er redet. Da steht einer, der selbst Fabriksarbeiter war, und nicht sein ganzes Leben lang in der Partei gearbeitet und verdient hat. Jemand, der überzeugt seine Meinung vertritt, und nicht alle paar Wochen was anderes. Da steht einer, inmitten von 130 Menschen, und alle hören gebannt zu. Weil jeder weiß: der verstellt sich nicht. Der ist einer von uns. Da war ein Querschnitt der Partei: Neumitglieder und GenossInnen, die seit Jahrzehnten in der Partei sind. GemeinderätInnen, aber auch Leute, die überhaupt nix haben an Funktionen.
 
Ich will, dass sich in der Partei strukturell was ändert. Und das funktioniert nur, wenn dort jemand sitzt, der nicht seit 100 Jahren oder länger verhabert ist. Köpfe austauschen, das reicht nicht. Es braucht einen Neustart in der SPÖ.  Und gleichzeitig braucht es, das haben die Landtagswahlen in Salzburg glaub ich ganz klar gezeigt, ein klares Bekenntnis zu linker Politik - und zwar in Taten, und nicht in salbungsvollen Reden.

Die Stimmung, die ich am Dienstag gespürt hab, die war ehrlich. Die war nicht aufgebauscht, nicht taktisch, nicht weil halt jetzt eine Wahl kommt. Da steht jemand, der mir vor 15 Jahren schon genau das gleiche gesagt hat wie diese Woche: Dass jeder Mensch ein Recht auf ein Leben in Würde hat, mit allem was dazu gehört. Und genau das will ich in meiner Partei, und genau deswegen bekommt der Andi meine Stimme.

Donnerstag, 15. November 2018

Kritischer Journalismus? Fehlanzeige.

Lieber DER STANDARD!
Ich finds cool, dass ihr einen Artikel über Bauen & Wohnen in Wiener Neustadt macht. Immerhin ist das die zweitgrößte Stadt in NÖ, bis zum Erreichen der 50.000 Einwohner-Marke dauerts nimmer all zu lang, und nicht nur als Schulstadt ist Wr. Neustadt von überregionaler Bedeutung.

Warum ihr aber in dem Artikel ausschließlich den zuständigen Stadtrat der schwarz-blauen Regierung zu Wort kommen lasst, erschließt sich mir nicht ganz. Kein kritisches Wort ist da zu lesen, niemand, der die Pläne der Stadtregierung nicht so cool findet, wird befragt. Dabei gäbs doch eigentlich genug, das so einen Artikel bereichern würde. Wie wärs zb mit einem Absatz über die Bebauung des Fohlenhofes? Da regt sich nämlich einiges an Widerstand gegen die Pläne, ein Stück Akademiepark zu verbauen. Man hätte da durchaus mal einen Blick auf die Homepage der IG Akademiepark für Alle werfen können
 Aber ja, immerhin werden Wohnungen gebaut. Das stimmt so auch, gleichzeitig veräußert die Stadt (desolate) Gemeindewohnungen. 

Dinhobl darf Jubelpersern, dass in der Stadt massig Geld investiert wird, nicht zuletzt wegen der Landesausstellung. Und auch da wird nicht erwähnt, dass das Land den Geldhahn erst geöffnet hat, seit 2015 die ÖVP den Bürgermeister stellt - der gleichzeitig auch Klubobmann der Schwarzen im NÖ Landtag ist. Exemplarisch dafür: 2014, im Jahr vor der Machtübernahme, erhielt die Stadt gerade einmal 21.700€ an Bedarfszuweisungen vom Land. Letztes Jahr warens sogar 2,2 Mio € - eine Steigerung von 8.000%!



Und dann gehts in dem Artikel auch noch um Leerstand in der Innenstadt. Das ist tatsächlich ein gigantisches Problem. Nur wird mit keinem Wort der Marienmarkt werwähnt, das Prestigeprojekt von ÖVP-Bürgermeister Schneeberger. Der sollte ja immerhin die Menschenmassen in die Innenstadt locken. Aber warum? Könnte es eventuell daran liegen, dass der Markt nicht funktioniert? Die Mieter wechseln fleissig hin und her, die Frequenz ist niedrig, und eigentlich hat der Markt keinerlei Mehrwert - ausser dass der Hauptplatz nun verbaut ist. Dass dafür Kebapstandler mit rassistischen Argumentationen vertrieben wurden, wird ebenfalls mit keinem Wort erwähnt. 

Schade, lieber DER STANDARD, da hätt ich eigentlich etwas anderes von dir erwartet. Es gäb genug Menschen, die in so einem Artikel etwas zu sagen hätten. Leider sind sie alle nicht zu Wort gekommen.

Montag, 6. August 2018

#tatort - ein Reanimationsrant

Gestern war wieder Tatort, der erste nach der Sommerpause. Und der war auch handwerklich richtig gut gemacht, die Story war vielversprechend, und vor allem die Idee, einen ganzen Tatort im One-Shot zu drehen, ist richtig cool. Trotzdem wars dann eine eher schwache Folge, dann auch noch das: Eine grottenschlechten Reanimation.


Hey, zu recht können jetzt viele sagen: Das ist Nerd-Zeug, niemand interessierts, niemand kriegts mit. Aber ich finde, genau solche Details machen Filme aus. Und nebenbei halt ich es für wichtig dass Menschen Erste Hilfe leisten & somit auch Laienreanimation können. Dafür ist eine realistische Darstellung im Fernsehn gar nicht mal so unwichtig.

Die ganze Szene gibts hier zum Nachsehen (ab etwa 01:03:30).

Man sieht da einen Schweizer Sanitäter, der eine Frau reanimiert. Alleine, während ein zweiter Herr im Anzug alle paar Sekunden mit dem Defi drauf schießt. Und beides passiert in einer Frequenz, die einfach unterirdisch ist. Das ganze ist zwar um einen Tick realistischer als die schlechteste Film-Reanimation aller Zeiten, aber trotzdem noch grauenhaft.


Dabei wärs doch gar nicht so schwer, eine Reanimation im Film richtig darzustellen. Das ist dann halt leider nicht so spektakulär und actiongeladen wie alle 10 Sekunden mit dem Defi zu schocken, aber realistisch. Zumindestens die Geschwindigkeit der Herzdruckmassage köntne man richtig hinkriegen - die lag beim gestrigen Tatort ja jenseits von gut und böse; sprich viel zu schnell.

Wie also funktioniert eine ordentliche Laienreanimation?

Lebenszeichen überprüfen, eh klar. Und dann gibts im wesentlichen nur 3 Dinge zu beachten:

1. Notruf wählen! (Und dann einfach das tun, was die Leute am anderen Ende der Leitung sagen). Oder Notruf absetzen lassen.

2. Staying Alive: Klingt zynisch, ist aber ein Stück das ziemlich viele kennen, und in dessen Beat optimal reanimiert werden kann, nämlich mit 100x Drücken/Minute. Die ideale Drucktiefe ist 5cm, also ruhig kräftig reindrücken.

3. Beatmung: Wer nicht will/kann, lasst das einfach weg. Nur Drücken reicht erstmal. Natürlich ist es gut, wenn beatmet wird, im Zweifel ist aber die reine Herdruckmassage besser als gar nix. Das sagen auch die 2015 aktualisierten Leitlinien des ERC oder die EH-Guidelines vom Roten Kreuz.

Zusätzlich: Defi! Nach Möglichkeit einen Defi holen. Die Dinger sind mittlerweile OK an öffentlichen Plätzen verteilt und erhöhen die Chance auf eine positive Wiederbelebung. Und viele Defis geben auch ganz gute Anweisungen was zu tun ist.

Vinnie Jones erklärt in diesem Video echt gut, wie das alles funktioniert:


Die meisten Kreislaufstillstände finden in beobachteter Umgebung statt. Erste Hilfe rettet Leben. Ich würds cool finden, wenn das auch im Fernsehen dementsprechend realistisch dargestellt wird.

Und im Zweifel hilfts natürlich einfach mal einen Erste Hilfe Kurs zu machen un die Kenntnisse ein bisschen auffrischen. Super Infos gibts auch beim Verein Puls: www.puls.at

Was den Luftröhrenschnitt mit Schweizer Taschenmesser betrifft, der ja auch in der Folge (und zuvor schon in einem Münster-Tatort) vorkommt, sollte mittlerweile eh jedem klar sein: Das funktioniert so zwar maximal im klinischen Umfeld (und da sogar mit Kugelschreiber), aber mit Sicherheit nicht im Ernstfall. Und im Gegensatz zur Herzdruckmassage ist das ja eh kein Teil der Ersten Hilfe. Insofern lässt man das mal lieber bleiben ;)

Donnerstag, 27. August 2015

Wie kann man junge Menschen in sozialdemokratische Bewegungen einbinden?

Am 12. Juni fand in Budapest der Kongress der Party of European Socialists, der europäischen SozialdemokratInnen, statt. Ich hab da in einem Workshop zum Thema "Wie kann man junge Menschen in sozialdemokratische Bewegungen einbinden?" ein paar Worte gesagt.

Danke an Frèdèrick Moulin für das Video und das Transkript!

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#PEScongress - Workshop: "How to involve young generations in the social democratic movements?" in workshop: "Challenges for Social Democracy in XXI Century" with Laura Slimani, Young European Socialists - YES President ; young MEP Brando Benifei (S&D, IT) ; Michael Mayer, working in the Brussel Office of the Austrian Chamber of Labour and one of the lucky selected participants of #EYEHearings2014 in the European Parliament ; Omri Preiss, the assistant of a great MEP among the Labour MEPs; an activist from PES Munich ; Ania Skrzypek, Senior Research Fellow at FEPS - Foundation for European Progressive Studies, in charge of the Next Left ... - 12.06.2015 - Budapest, Hungary.

Laura Slimani: "We often say that Europe is the most important place where things happen for my generation. Many people, and I believe it is the case, that at least 50% of our destiny, whether we will have a job, whether we will be able to live in dignity, that these decisions are taken as much as the national level than at the European level. So, we, as Young European Socialist, believe that, if this is the case, if 50% of our destiny is happening at the European level, then 50% of our activism has to happen at the European level. (...)"

Brando Benifei: "We need to make reflections more clearly about the institutional system and the voting system (...)"

Laura Slimani: "We, as Young European Socialists, question the strategy of being in a Grand Coalition with the right at the European level. (Applause) We believe that at the moment it's not making a difference in the way Europe is led. So we want to put the question out there: what's the best strategy for European Socialists in the future ? Is it maybe to be in a left-wing coalition ? We think it's a question we need to address. (...)"
Brando Benifei: "Regarding what Laura was saying (...) when we talk about Grand Coalition, it's again a matter of institutions on the European level. Because we can say we make a left-wing alliance in the European Parliament, but unfortunately the European Commission is nominated only by the member states, where there is a majority of conservatives, so if we stop the coalition on big issues with the Liberals and the EPP, we must be conscious that the European Union as it is now will not work. So we need to change it, because as it is now, (...) in the end we cannot pass a Juncker plan on investments, a better one, with a left-wing coalition in the European Parliament. It's institutionally impossible. (...) The problem that we have, that is the institutional mechanism that brings a necessary Grand Coalition in the institutions of the EU starting with the Commission. (...) (If we want to) give the image of politics that can change things, that can take its own responsibility, we need to have electoral and institutional system that hold that. "

AniaSkrzypek: "It's not going to be a discussion between us (...)"

Michael Mayer: "Within the parties (...) we have to make sure that young people (...) can express their own ideas and their own views (...) if you are young, you tend to get shaped and get patronised. This is something that has to be stopped. (...)
You might know that all these concepts have been on the table for 10 years or even longer, saying we need to empower young people within the parties, we need t make their voices heard within parties ; but it's not happening. So that's the point: we do know basically how to get young people involved, we should just start doing it !"

Omri Preiss: "(...) cynicism about politics as a whole: I mean, we have these huge issues, but they are not being addressed by anyone practically, whether it's the financial crisis, or Climate Change. If you look at it from the outside, you see the establishment not being very active on a lot of very obvious issues. So, I think one thing to do is to embrace a very kind of grassroots approach, a very transparent and democratic approach, which transmits a certain amount of honesty, of integrity, in a kind of "I practise as I preach" . You know, I think the left really needs sort of a Gandhi figure, or something like that (laughter in the audience), or taken a few steps apart, an Obama-type figure, someone who can really communicate a clear and honest message, and gives a feeling of "I-am-like-you", in a way that provokes identification (...)"

PES Munich activist: "(Talking about Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) and Jusos in der SPD) The gap between the 25 and the 45, which is actually also the economical motor of the society wasn't really represented, so, thank God the PES Group in Munich is more our age so it's c;ear where we are going, the European direction. What I think the problem is, is the tone of the message. I've observed it in Spain: European youth, they are politically interested ; the problem is I think the tone of the message ( ... )"

Summary & conclusion by Brando Benifei.

© Frédérick Moulin 2015 - All rights reserved.

Donnerstag, 18. Juni 2015

Hey, Wiener Neustädter und Wiener Neustädterinnen!

Ich weiß, viele von euch haben Angst. Da sollen plötzlich 400 Menschen, die kaum Deutsch können und teilweise nichts mehr haben als das, was sie am Körper tragen, in die unmittelbare Nachbarschaft einziehen? In ein Notquartier, eine Halle, ein "Massen"lager? Klingt ganz schön unangenehm erst mal. Man liest ja auch genug in der Zeitung, von der Forderung nach WLAN (das ist erfunden), oder dass die Flüchtlinge sich übers Essen beschwert haben (auch das stimmt nicht, der ORF hats recherchiert).

Sofort ging auf Facebook eine Diskussion los, die ich nicht im Detail wieder geben möchte. Da war die Rede davon, Flüchtlingen Tieren zum Fraß vorzuwerfen. Dass kein Kind mehr in Neustadt einen sicheren Schulweg hat, Frauen abends nicht mehr allein auf die Straße können ohne vergewaltigt zu werden.

Das klingt gar nicht so leiwand, eigentlich.

Aber hey, lasst mich euch eine kleine Geschichte erzählen. Die hat sich vor zwei Jahren oder so in Hainburg abgespielt, kurz nach schweren Überschwemmungen. Das Team Österreich hat aufgerufen, dort zu helfen, und den Menschen, deren Häuser überschwemmt wurden, bei den Aufräumarbeiten zu helfen. Beim Mittagessen ist mir dort zum ersten Mal eine Gruppe junger Männer aufgefallen. Nach kurzer Plauderei hat sich herausgestellt, dass das Flüchtlinge sind. Die sind, als sie von dem Aufruf des Team Österreich gehört haben, in den Zug gestiegen, um von Grimmenstein nach Hainburg zu fahren. Als ich sie gefragt hab, warum sie das machen, hat mir einer geantwortet: "Es ist unsere Pflicht, Menschen zu helfen, wenn es ihnen schlechter geht als uns selbst".

Tatsächlich sind das keine Massenmörder, Vergewaltiger, Kinderfresser, Drogendealer oder was auch immer. Das sind Menschen, die um ihr Leben gelaufen sind. Die, mit etwas weniger Glück, gar nicht da wären- weil sie tot wären.

Als die Rote Armee am 2. April 1945 Wiener Neustadt einnahm, traf sie nur auf wenige Zivilisten. Die meisten waren vor den Bombenangriffen der Aliierten geflohen. (1) Die erste Volkszählung nach dem zweiten Weltkrieg ergab, dass knapp ein Viertel aller Menschen aus Wiener Neustadt gestorben oder geflüchtet ist. 70 Jahre nach Ende des zweiten Weltkrieges geht es uns so gut wie nie zuvor. Auch wenn das für den einen oder die andere manchmal nicht so scheint.

Nicht allen geht es so gut wie uns. Wir leben in Frieden, haben genug zu essen, ein Dach über dem Kopf. Wir müssen uns nicht fürchten, um unsere Famile und Freunde, um unsere Häuser. der letzte Krieg in Österreich ist drei Generationen her. Das erscheint vielen Ewig, ist tatsächlich aber noch nicht so lange her. Ich wünsch niemanden, dass er flüchten muss. Niemandem. Aber das kann schneller passieren als es einem selbst lieb ist.

Als ich vorher die ersten Bilder von Freiwilligen gesehen hab, die sich kurzerhand auf den Weg in die Arena Nova gemacht haben, um den Aufbau des Quartiers zu unterstützen, kamen mir kurz die Tränen. Die Angebote, unterstützend tätig zu werden oder Sachen zu spenden, steigen kontinuierlich an. Wiener Neustadt hat eine Zivilgesellschaft, und auf die kann man verdammt stolz sein.

#welcome400!

(1) Markus Reisner: Bomben auf Wiener Neustadt - Die Zerstörung eines der wichtigsten Rüstungszentren des Deutschen Reiches

Dienstag, 28. April 2015

Die falschen Zahlen der FPÖ

Und wieder mal ist es soweit: Wie bereits unzählige Male davor präsentiert die FPÖ einen Vergleich zwischen Geldleistungen für AsylwerberInnen und den, wie sie meinen, anständigen ArbeiterInnen. Und wie so oft davor ist dieser Vergleich falsch.

Zugegebenermaßen wird die FPÖ allerdings immer perfider: Während früher behauptet wurde, dass AsylwerberInnen mehr bekommen als österreichische Familien, hat sie ihr Wording jetzt umgestellt: Jetzt gehts darum, dass man Geld "für's Nichtstun" bekommt. Aber auch das ist falsch, wie ich gleich zeigen werde.

Anlass dieser Berechnung ist ein Flugblatt, dass heute in der Steiermark an alle Haushalte gesandt wurde:

CarFriTag / Twitter

Und hier meine Berechnung:



Das mag auf den ersten Blick überraschen, die Zahlen sind nicht so unterschiedlich. Der Hauptfehler der FPÖ-Berechnung liegt meiner Meinung nach in der Höhe des Einkommens des Familienvaters. Laut Quellenangabe der FPÖ liefert das Statistische Handbuch der Sozialversicherung. Dort habe ich diese Zahl aber nicht gefunden. Meine Quelle ist die Einkommensstatistik des Landes Steiermark (allerdings aus 2013), dort wird der durchschnittliche Lohn eines Mannes in der Steiermark mit € 2.043,- Netto angegeben. Und dann ergeben sich plötzlich knapp 10.000 € Unterschied in den Jahresbezügen.

Was die FPÖ aber verschweigt:

Zum Einen ist vor Bezug der Bedarfsorientierten Mindestsicherung Vermögen bis zu einer Höhe von € 4.139,19 aufzubrauchen. Dazu zählt auch ein Auto, falls das nicht zur Erreichung des Arbeitsortes notwendig ist - arbeitslose Menschen müssen ihr Fahrzeug also verkaufen.

Zum Anderen stimmt die Sache mit dem nichtstun einfach nicht. Wer BMS bezieht, verpflichtet sich zur Mitwirkung bei der Jobsuche und hat sich beim AMS zu melden. Wie das dort läuft: Wenn ein Job abgelehnt wird, bedeutet das die Streichung der BMS. Also einfach nur nichts tun funktioniert nicht.

Wann wird die Bedarfsorientierte Mindestsicherung gekürzt?

Ein wesentliches Ziel der Bedarfsorientierten Mindestsicherung ist es, Menschen wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Zu diesem Zweck wird die Leistungsfähigkeit für den Arbeitsmarkt festgestellt. All jene, die sich weigern, ihre Leistungsfähigkeit feststellen zu lassen, eine ihnen angebotene zumutbare Arbeit anzunehmen oder an vom Arbeitsmarktservice vermittelten Maßnahmen teilzunehmen, kann die Bedarfsorientierte Mindestsicherung stufenweise gekürzt werden. 
Wichtig: Eine Grundvoraussetzung für den Bezug der Mindestsicherung ist ein den jeweiligen Fähigkeiten entsprechendes ernsthaftes Bemühen um eigene Erwerbstätigkeit!
Quelle: http://www.soziales.steiermark.at/cms/beitrag/11395669/61183307/

Der Betrag, den die Familie mit positivem Asylbescheid erhält, steht jeder Famile in Österreich zu! Das kann man gut finden, oder auch nicht - es ändert aber nichts daran, dass eine solidarische Gesellschaft, dafür Sorge trägt, dass niemand durch's Netz fällt. Im Dezember 2014 bezogen in Graz 735 Paare mit 3 Kindern Mindestsicherung. Das entspricht - bei geschätzten 110.000 Haushalten, etwa 6,7% aller Haushalte.

Die Berechnung der FPÖ ist daher nicht anderes als Hetze gegen AsylwerberInnen. 


Meine Berechnung erhebt keinesfalls den Anspruch der Vollständigkeit. Für Anmerkungen und Richtigstellungen bitte ich daher um Kommentare.

Mittwoch, 15. April 2015

+++ BREAKING +++ Kreuzfahrtschiff im Mittelmeer gesunken



Gestern ist ein Kreuzfahrtschiff untergegangen. Von den bis zu 550 Menschen, die an Board waren, konnten nur knapp 150 lebend gerettet werden, der Rest ist ertrunken. Binnen Minuten wurden sämtliche Fernsehsendungen unterbrochen, internationale Suchteams machten sich auf den Weg zum Ort des Geschehens. Eine Welle der Solidarität rollte an. Nahezu alle europäischen PolitikerInnen bekundeten ihre Trauer und ihr Entsetzen, Fahnen wurden auf Halbmast gesetzt.

Davon hat man nichts mitbekommen? Ist ja auch nicht passiert - zumindestens nicht so. Es ist kein Kreuzfahrtschiff gesunken.

Aber gestern sind 400 Menschen im Mittelmeer ertrunken. 

http://www.bbc.com/news/world-africa-32311358

400 Menschen, die auf der Suche nach einem besseren Leben waren, die ihre Hoffnungen auf Europa gesetzt haben. 400 Menschen, die zusammengepfercht auf nahezu seeuntauglichen Fischkuttern versuchen, das für sie gelobte Land zu erreichen. 400 Menschen, die - wissend, dass die Wahrscheinlichkeit, diese Überfahrt nicht zu überleben gar nicht so gering ist - es trotzdem versuchen. 400 Menschen, die nichts mehr zu verlieren haben.

Und trotzdem kommt vielen dieses Szenario bekannt vor. Lampedusa ist ein Synonym für unzählige tote Menschen vor Italiens Küste geworden. Nicht zum ersten Mal kentern dort Boote. 

Wollte man alle Leichen der letzten Jahre zählen, dann schwirrt die Zahl 28.000 herum - so viele Menschen sind laut dem Netzwerk "The Migrant Files" seit 2000 beim Versuch, die Festung Europa zu betreten, gestorben.

Ertrinken gehört zu den grausamsten Todesarten überhaupt. Es ist weder angenehm noch schmerzlos, an Wasser zu ersticken – selbst wenn es oft überraschend schnell geht. Wie lange es dauert, hängt vor allem von den Schwimmerqualitäten und der Wassertemperatur ab. In Großbritannien, wo das Meerwasser oft sehr kalt ist, ertrinken 55 Prozent der Opfer nicht mehr als drei Meter von einem Ufer oder Boot entfernt. Zudem kann ein Drittel der Opfer gut schwimmen. Das zeige, dass man binnen Sekunden in Gefahr geraten könne, sagt Mike Tipton, Physiologe an der University of Portsmouth.

Kann das Opfer seinen Kopf nicht mehr über Wasser halten, beginnt der typische Überlebenskampf an der Oberfläche, der in etwa eine Minute dauert. Über Wasser schnappt der Totgeweihte nach Luft, unter Wasser hält er den Atem an. Sein Körper hängt aufrecht im Wasser, mit letzter Kraft bewegt er die Arme, als wolle er sich an einer Leiter hochhangeln.

Geht er schließlich endgültig unter, hält er den Atem so lange wie möglich an. Das ist kaum länger als 90 Sekunden möglich. Dann inhaliert er etwas Wasser, verschluckt sich, hustet und inhaliert noch mehr. Aus Reflex verschließt sich die Luftröhre. Das Wasser verhindert nun den Gasaustausch in der Lunge. »Es brennt zunächst etwas in der Brust, wenn das Wasser die Luftröhre hinabläuft, dann breitet sich aber ein Ruhegefühl im Körper aus«, sagt Tipton – die einsetzende Bewusstlosigkeit, der schließlich Herzstillstand und Hirntod folgen. (1)

Die Europäische Union ist Friedensnobelpreisträgrin. Und dennoch nimmt sie wissentlich den Tod von Menschen in Kauf. Die erfolgreiche Mission Mare Nostrum, die anstatt auf Grenzschutz auf Hilfe für Flüchtlinge gesetzt hat, wurde beendet - man könnte fast meinen, weil sie zu erfolgreich war. Statdessen patroulliert nun wieder Frontex im Mittelmeer. Das ist jene Grenzschutzagentur, die mittels Verordnung (!) dazu gezwungen werden musste, Schiffe nicht mehr in fremdes Hoheitsgebiet zurückzuschleppen, um nicht mehr dafür zuständig zu sein. Daneben nutzt Frontext bewusst verdrehte Fakten, um gegen Flüchtlinge Hetze zu betreiben.

Menschen in Seenot nicht zu helfen ist ein Verbrechen. Gleichzeitig kriminalisieren italienische Gesetze Kapitäne, die Flüchtlinge mit ihren Schiffen vor dem Ertrinkungstod retten, und strafen sie als Schlepper ab.

In Melillia können die Zäune nicht hoch genug sein, als das nicht jemand versuchen würde, da drüberzuklettern. Anstatt Lösungen solidarisch zu entwickeln setzt die EU auf ein System der Abschreckung, und die einzelnen Nationalstaaten liefern sich ein Rennen um die härtesten Asylrestriktionen. Österreich ist da vorne mit dabei.

Diejenigen, die es nach Europa geschafft haben, leben. Aber viel mehr Rechte haben sie nicht.
Auf Flüchtlinge, die es nach Europa geschafft haben, warten oftmals massive Schikanen. Sie können ihren Aufenthaltsort nicht frei wählen. Wenn sie trotzdem versuchen, in das Land ihrer Wahl vorzudringen, riskieren sie Rückschiebung, Internierung und polizeiliche Willkür. Die Dublin-Verordnung erlaubt es, Flüchtlinge wie Frachtgüter durch Europa zu karren. Am Ende landen sie in überforderten Ländern, wo Asylsuchende, selbst wenn sie minderjährig sind, systematisch inhaftiert werden. Diese Politik der Abschottung, der fehlenden Solidarität und der ungerechten Verteilung des Aufwands, der mit der Aufnahme von Flüchtlingen verbunden ist, kann nicht länger hingenommen werden.
Das fordert der PEN-Club in einem Aufruf, der gestern an Martin Schulz übergeben wurde. Das tragische Timing war da zwar nicht der markabere Hintegrund, könnte aber treffender kaum sein.

Dieses Jahr sind bereits etwa 900 Menschen vor den Küsten Europas abgesoffen. Das sind Dimensionen, die man sich nicht mehr vorstellen kann. Die 400 Menschen, die gestern gestorben sind, das sind in etwa zweienhalb GermanWings-Maschinen (2).

Flüchtlinge haben keine Lobby. Wie viele Menschen noch vor Europas Toren ertrinken müssen, bis sich die europäische Flüchtlingspolitik ändert, ist ungewiss. Es werden bedeutend mehr als 400 sein.


(1) http://www.zeit.de/zeit-wissen/2008/06/Sterbegefuehle
(2) Tote Menschen gegeneinander aufzurechnen finde ich prinzipiell ekelhaft. Ich habe lang nachgedacht, wie man diese Zahl besser verdeutlichen kann. Ich kanns mir nicht begreiflich machen, wie viel 400 Tote sind - und der Vergleich mit dem tragischen Vorfall einer GermanWings-Maschine unlängst ermöglicht mir, die Dimension ein kleines bisschen einzuschätzen.