Dienstag, 28. April 2015

Die falschen Zahlen der FPÖ

Und wieder mal ist es soweit: Wie bereits unzählige Male davor präsentiert die FPÖ einen Vergleich zwischen Geldleistungen für AsylwerberInnen und den, wie sie meinen, anständigen ArbeiterInnen. Und wie so oft davor ist dieser Vergleich falsch.

Zugegebenermaßen wird die FPÖ allerdings immer perfider: Während früher behauptet wurde, dass AsylwerberInnen mehr bekommen als österreichische Familien, hat sie ihr Wording jetzt umgestellt: Jetzt gehts darum, dass man Geld "für's Nichtstun" bekommt. Aber auch das ist falsch, wie ich gleich zeigen werde.

Anlass dieser Berechnung ist ein Flugblatt, dass heute in der Steiermark an alle Haushalte gesandt wurde:

CarFriTag / Twitter

Und hier meine Berechnung:



Das mag auf den ersten Blick überraschen, die Zahlen sind nicht so unterschiedlich. Der Hauptfehler der FPÖ-Berechnung liegt meiner Meinung nach in der Höhe des Einkommens des Familienvaters. Laut Quellenangabe der FPÖ liefert das Statistische Handbuch der Sozialversicherung. Dort habe ich diese Zahl aber nicht gefunden. Meine Quelle ist die Einkommensstatistik des Landes Steiermark (allerdings aus 2013), dort wird der durchschnittliche Lohn eines Mannes in der Steiermark mit € 2.043,- Netto angegeben. Und dann ergeben sich plötzlich knapp 10.000 € Unterschied in den Jahresbezügen.

Was die FPÖ aber verschweigt:

Zum Einen ist vor Bezug der Bedarfsorientierten Mindestsicherung Vermögen bis zu einer Höhe von € 4.139,19 aufzubrauchen. Dazu zählt auch ein Auto, falls das nicht zur Erreichung des Arbeitsortes notwendig ist - arbeitslose Menschen müssen ihr Fahrzeug also verkaufen.

Zum Anderen stimmt die Sache mit dem nichtstun einfach nicht. Wer BMS bezieht, verpflichtet sich zur Mitwirkung bei der Jobsuche und hat sich beim AMS zu melden. Wie das dort läuft: Wenn ein Job abgelehnt wird, bedeutet das die Streichung der BMS. Also einfach nur nichts tun funktioniert nicht.

Wann wird die Bedarfsorientierte Mindestsicherung gekürzt?

Ein wesentliches Ziel der Bedarfsorientierten Mindestsicherung ist es, Menschen wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Zu diesem Zweck wird die Leistungsfähigkeit für den Arbeitsmarkt festgestellt. All jene, die sich weigern, ihre Leistungsfähigkeit feststellen zu lassen, eine ihnen angebotene zumutbare Arbeit anzunehmen oder an vom Arbeitsmarktservice vermittelten Maßnahmen teilzunehmen, kann die Bedarfsorientierte Mindestsicherung stufenweise gekürzt werden. 
Wichtig: Eine Grundvoraussetzung für den Bezug der Mindestsicherung ist ein den jeweiligen Fähigkeiten entsprechendes ernsthaftes Bemühen um eigene Erwerbstätigkeit!
Quelle: http://www.soziales.steiermark.at/cms/beitrag/11395669/61183307/

Der Betrag, den die Familie mit positivem Asylbescheid erhält, steht jeder Famile in Österreich zu! Das kann man gut finden, oder auch nicht - es ändert aber nichts daran, dass eine solidarische Gesellschaft, dafür Sorge trägt, dass niemand durch's Netz fällt. Im Dezember 2014 bezogen in Graz 735 Paare mit 3 Kindern Mindestsicherung. Das entspricht - bei geschätzten 110.000 Haushalten, etwa 6,7% aller Haushalte.

Die Berechnung der FPÖ ist daher nicht anderes als Hetze gegen AsylwerberInnen. 


Meine Berechnung erhebt keinesfalls den Anspruch der Vollständigkeit. Für Anmerkungen und Richtigstellungen bitte ich daher um Kommentare.

Mittwoch, 15. April 2015

+++ BREAKING +++ Kreuzfahrtschiff im Mittelmeer gesunken



Gestern ist ein Kreuzfahrtschiff untergegangen. Von den bis zu 550 Menschen, die an Board waren, konnten nur knapp 150 lebend gerettet werden, der Rest ist ertrunken. Binnen Minuten wurden sämtliche Fernsehsendungen unterbrochen, internationale Suchteams machten sich auf den Weg zum Ort des Geschehens. Eine Welle der Solidarität rollte an. Nahezu alle europäischen PolitikerInnen bekundeten ihre Trauer und ihr Entsetzen, Fahnen wurden auf Halbmast gesetzt.

Davon hat man nichts mitbekommen? Ist ja auch nicht passiert - zumindestens nicht so. Es ist kein Kreuzfahrtschiff gesunken.

Aber gestern sind 400 Menschen im Mittelmeer ertrunken. 

http://www.bbc.com/news/world-africa-32311358

400 Menschen, die auf der Suche nach einem besseren Leben waren, die ihre Hoffnungen auf Europa gesetzt haben. 400 Menschen, die zusammengepfercht auf nahezu seeuntauglichen Fischkuttern versuchen, das für sie gelobte Land zu erreichen. 400 Menschen, die - wissend, dass die Wahrscheinlichkeit, diese Überfahrt nicht zu überleben gar nicht so gering ist - es trotzdem versuchen. 400 Menschen, die nichts mehr zu verlieren haben.

Und trotzdem kommt vielen dieses Szenario bekannt vor. Lampedusa ist ein Synonym für unzählige tote Menschen vor Italiens Küste geworden. Nicht zum ersten Mal kentern dort Boote. 

Wollte man alle Leichen der letzten Jahre zählen, dann schwirrt die Zahl 28.000 herum - so viele Menschen sind laut dem Netzwerk "The Migrant Files" seit 2000 beim Versuch, die Festung Europa zu betreten, gestorben.

Ertrinken gehört zu den grausamsten Todesarten überhaupt. Es ist weder angenehm noch schmerzlos, an Wasser zu ersticken – selbst wenn es oft überraschend schnell geht. Wie lange es dauert, hängt vor allem von den Schwimmerqualitäten und der Wassertemperatur ab. In Großbritannien, wo das Meerwasser oft sehr kalt ist, ertrinken 55 Prozent der Opfer nicht mehr als drei Meter von einem Ufer oder Boot entfernt. Zudem kann ein Drittel der Opfer gut schwimmen. Das zeige, dass man binnen Sekunden in Gefahr geraten könne, sagt Mike Tipton, Physiologe an der University of Portsmouth.

Kann das Opfer seinen Kopf nicht mehr über Wasser halten, beginnt der typische Überlebenskampf an der Oberfläche, der in etwa eine Minute dauert. Über Wasser schnappt der Totgeweihte nach Luft, unter Wasser hält er den Atem an. Sein Körper hängt aufrecht im Wasser, mit letzter Kraft bewegt er die Arme, als wolle er sich an einer Leiter hochhangeln.

Geht er schließlich endgültig unter, hält er den Atem so lange wie möglich an. Das ist kaum länger als 90 Sekunden möglich. Dann inhaliert er etwas Wasser, verschluckt sich, hustet und inhaliert noch mehr. Aus Reflex verschließt sich die Luftröhre. Das Wasser verhindert nun den Gasaustausch in der Lunge. »Es brennt zunächst etwas in der Brust, wenn das Wasser die Luftröhre hinabläuft, dann breitet sich aber ein Ruhegefühl im Körper aus«, sagt Tipton – die einsetzende Bewusstlosigkeit, der schließlich Herzstillstand und Hirntod folgen. (1)

Die Europäische Union ist Friedensnobelpreisträgrin. Und dennoch nimmt sie wissentlich den Tod von Menschen in Kauf. Die erfolgreiche Mission Mare Nostrum, die anstatt auf Grenzschutz auf Hilfe für Flüchtlinge gesetzt hat, wurde beendet - man könnte fast meinen, weil sie zu erfolgreich war. Statdessen patroulliert nun wieder Frontex im Mittelmeer. Das ist jene Grenzschutzagentur, die mittels Verordnung (!) dazu gezwungen werden musste, Schiffe nicht mehr in fremdes Hoheitsgebiet zurückzuschleppen, um nicht mehr dafür zuständig zu sein. Daneben nutzt Frontext bewusst verdrehte Fakten, um gegen Flüchtlinge Hetze zu betreiben.

Menschen in Seenot nicht zu helfen ist ein Verbrechen. Gleichzeitig kriminalisieren italienische Gesetze Kapitäne, die Flüchtlinge mit ihren Schiffen vor dem Ertrinkungstod retten, und strafen sie als Schlepper ab.

In Melillia können die Zäune nicht hoch genug sein, als das nicht jemand versuchen würde, da drüberzuklettern. Anstatt Lösungen solidarisch zu entwickeln setzt die EU auf ein System der Abschreckung, und die einzelnen Nationalstaaten liefern sich ein Rennen um die härtesten Asylrestriktionen. Österreich ist da vorne mit dabei.

Diejenigen, die es nach Europa geschafft haben, leben. Aber viel mehr Rechte haben sie nicht.
Auf Flüchtlinge, die es nach Europa geschafft haben, warten oftmals massive Schikanen. Sie können ihren Aufenthaltsort nicht frei wählen. Wenn sie trotzdem versuchen, in das Land ihrer Wahl vorzudringen, riskieren sie Rückschiebung, Internierung und polizeiliche Willkür. Die Dublin-Verordnung erlaubt es, Flüchtlinge wie Frachtgüter durch Europa zu karren. Am Ende landen sie in überforderten Ländern, wo Asylsuchende, selbst wenn sie minderjährig sind, systematisch inhaftiert werden. Diese Politik der Abschottung, der fehlenden Solidarität und der ungerechten Verteilung des Aufwands, der mit der Aufnahme von Flüchtlingen verbunden ist, kann nicht länger hingenommen werden.
Das fordert der PEN-Club in einem Aufruf, der gestern an Martin Schulz übergeben wurde. Das tragische Timing war da zwar nicht der markabere Hintegrund, könnte aber treffender kaum sein.

Dieses Jahr sind bereits etwa 900 Menschen vor den Küsten Europas abgesoffen. Das sind Dimensionen, die man sich nicht mehr vorstellen kann. Die 400 Menschen, die gestern gestorben sind, das sind in etwa zweienhalb GermanWings-Maschinen (2).

Flüchtlinge haben keine Lobby. Wie viele Menschen noch vor Europas Toren ertrinken müssen, bis sich die europäische Flüchtlingspolitik ändert, ist ungewiss. Es werden bedeutend mehr als 400 sein.


(1) http://www.zeit.de/zeit-wissen/2008/06/Sterbegefuehle
(2) Tote Menschen gegeneinander aufzurechnen finde ich prinzipiell ekelhaft. Ich habe lang nachgedacht, wie man diese Zahl besser verdeutlichen kann. Ich kanns mir nicht begreiflich machen, wie viel 400 Tote sind - und der Vergleich mit dem tragischen Vorfall einer GermanWings-Maschine unlängst ermöglicht mir, die Dimension ein kleines bisschen einzuschätzen.

Dienstag, 7. April 2015

Politisch motivierte Rauschaktionen



In Vorarlberg wurden gerade fünf Männer angezeigt, diegestern eine Unterkunft für AsylwerberInnen attackiert haben. Alles halb so wild, beschwichtigt die Staatsanwaltschaft jetzt. Die waren doch betrunken! Einen rechtsextremen Hintergrund schließt man aus. Aber ist das so einfach?

Die Verharmlosung solcher Attacken hat in Österreich System. Rauschaktionen, Lausbubenstreiche, nicht-politischer Hintergrund – die Liste der Erklärungen für solche Taten ist lang. Und alle sind sie falsch.  Betrunkene Menschen zünden keine Asyleinrichtungen an. Betrunkene Menschen schreiben vielleicht SMS, oder schmusen herum. Aber sie werfen keine Steine auf Flüchtlingsheime.

Der Rausch senkt die Hemmschwelle. Der Hass auf diese Einrichtungen, der aber bestand schon vorher. Zeugen haben in Vorarlberg rechte Parolen gehört. Kommen die einfach so im Rausch? Ab wie viel Promille gilt eine Alkoholisierung dann als Entschuldigung für Rechtsextremismus?
Der Verfassungsschutz spielt da gerne mit. In dem jährlich erscheinenden Verfassungsschutzbericht finden sich zahlreiche Seiten über kleine und unbedeutende linke Gruppierungen, die laut BVT brandgefährlich sind: „Im Vergleich zum Vorjahr zeigten die Straftaten, die linksextremistischen Gruppierungen zugerechnet werden konnten, eine steigende Tendenz.“

Und dann schreiben die Damen und Herren vom Verfassungsschutz: „Im Jahr 2013 ging vom Rechtsextremismus keine Gefahr für die Demokratie in Österreich aus.“ Damit haben sie leider Unrecht. Nur weil der politische Arm des organisierten Rechtsextremismus im Parlament sitzt, bedeutet das noch lange nicht, dass diese Neonazis harmlos sind.

Polizei, Staatsanwaltschaft und Verfassungsschutz: Sie alle sind auf dem rechten Auge blind.

In Deutschland hat sich die Zahl der Anschläge auf Unterkünfte für AsylwerberInnen im letzten Jahr gegen über 2013 verdreifacht. Einen ganz besonders sprunghaften Anstieg konnte man im letzten Quartal 2014 beobachten – zeitgleich mit dem Auftauchen der PEGIDA-Demonstrationen. Zählt man alle Vorfälle zusammen, kommt man auf etwa 240 rechtsextreme Handlungen, das ist eine in etwa 36 Stunden. Die Amadeu Antonia Stiftung kommt in ihrer Berechnung sogar auf  486 rechtsextremistisch motivierte Straf- undGewalttaten, Proteste und Kundgebungen gegen Asylbewerber und Flüchtlinge.


Und in Österreich? Da behauptet die FPÖ: Wir sind PEGIDA. Damit haben sie nicht Unrecht. Der rechtsextreme Mief und der braune Mob, die in Deutschland die Speerspitze der PEGIDA bilden, sind in Österreich tief und fest in den Burschenschaften und der FPÖ verankert.

Alle zusammen schaffen sie ein Klima, in dem es ganz ok ist, Ausländer zu schimpfen, körperliche Gewalt gegen sie einzusetzen oder ihre Häuser anzuzünden. Eine Gesellschaft, in der solche Anschläge verharmlost werden, ist schon sehr weit nach rechts abgedriftet. Und plötzlich ist eine rechtsextreme Tathandlung normal. Die Verharmlosung solcher Attacken macht also genau das möglich, was da heruntergespielt werden soll: Gezielte Anschläge auf AsylwerberInnen. Das ist nicht nur bedenklich, das ist extrem gefährlich.