Mittwoch, 16. Januar 2013

100 Gründe für die Wehrpflicht - und warum sie falsch sind (3)

Nun sind sie also komplett, jene 100 Gründe, die das Personenkomitee "Einsatz für Österreich" als Argument für die Wehrpflicht nennt.

Die ersten 75 Argumente habe sind ja bereits hier und hier entkräftet worden. Und dem geneigten Leser sei gesagt: es wird immer kurioser.

#76
Der Zivildienst baut Brücken zwischen Jungen und Älteren, armen und begüterten Menschen, Gesunden und Kranken!
Da ist es wieder, das Argument "Ohne Zivildienst keine Solidarität", oder auch in etwas abgewandelter Form "Der Zivildienst ist die Schule der Nation". Für soziale Gerechtigkeit braucht es vieles, zum Beispiel ein gerechtes Steuersystem, eine ausreichende Sozialmedizinische Betreuung, ein Bildungssystem, das nicht selektiert und integriert, und noch vieles mehr. Aber keinen Zivildienst.
#77  
Zivilisation bedeutet, sich gegenseitig zu helfen von Mensch zu Mensch, von Nation zu Nation.
Wir lernen: Ohne Wehrpflicht und ohne Zivildienst gibt es keine Zivilisation mehr.
#78
Ein bezahltes Sozialjahr schafft ein Zweiklassensystem an Helferinnen und Helfern und untergräbt damit das ehrenamtliche Engagement.
Jetzt gibt es sogar ein Dreiklassensystem: Ehrenamt, Hauptberufliche Mitarbeiter und Zwangsdiener. Wenn ehrenamtliches Engagement tatsächlich durch Lohnarbeit untergraben wird, müsste Lohnarbeit im sozialen Bereich also komplett abgeschafft werden.
#79
Junge Männer können beim Zivildienst nützliche Ausbildungen wie die Ausbildung zum Rettungssanitäter machen!
Der Zivildienst ist per Definition ein Hilfsdienst, und als solches nicht dafür geschaffen, dass junge Menschen Rettungssanitäter werden. Mehr dazu hier.
#80
Die Ehrenformationen bei Staatsempfängen wären ohne Grundwehrdiener in der derzeitigen Form nicht realisierbar.
Ernsthaft? Die Wehrpflicht muss bleiben, um Ehrenformationen bei Staatsempfängen stellen zu können. Kein Kommentar.
#81
Bei der Militärmusik sind 80 Prozent der Musiker Grundwehrdiener, die im Rahmen ihres Präsenzdienstes spielen.
Zwei Drittel aller Wehrpflichtigen sind Systemerhalter - also Köche, Fahrer oder eben auch bei der Militärmusik. Wie passt das mit der militärischen Landesverteidigung zusammen? Dieses Argument spricht sich explizit gegen die Wehrpflicht aus. Denn um Musiker auszubilden, braucht es keinen Zwangsdienst.
#82
Die Wehrpflicht leistet einen aktiven Beitrag zur Integration, da sich hier junge Österreicher mit Migrationshintergrund mit den Grundwerten ihrer neuen Heimat vertraut machen!
Warum gerade erst das Bundesheer Integration fördern soll, kann nur einen Grund haben: Das Bildungs- und Gesellschaftssystem hat 18 Jahre vorher versagt. Das ist allemal ein Grund für Reformen derselben, aber nicht für die Wehrpflicht.
#83
Seriöse Berechnungen zeigen, dass eine Berufsarmee den Steuerzahler doppelt so viel kosten würde wie unser jetziges System.
Eine Studie der Industriellenvereinigung, deren langjähriger Chef Veit Sorger auch Leiter des Personenkomitees "Einsatz für Österreich" ist, behauptet genau das Gegenteil - die Wehrpflicht ist teurer als ein Berufsheer.
#84
Die Wehrpflicht stellt die demokratische Verankerung unseres Heeres sicher!
Das ist nun ja bereits hinreichend widerlegt. Ob die Syrische Armee (und viele andere), die ebenfalls eine Wehrpflicht haben (in Syrien sind es 18 Monate) aktuell demokratisch im Volk verankert ist, darf jeder für sich selbst entscheiden.
#85
Eine Berufsarmee ist anfällig für politischen Missbrauch und kann zu einer latenten Gefahr für Österreich werden.
Anfällig ist nicht die Form der Armee, sondern die Macht die man ihr zugesteht und die politische Grundtendenz eines Landes. Wehrpflichtheere lassen sich genauso gegen das eigene Volk einsetzen wie Berufsheere.

Außerdem: Im Jahrgang 2010 waren gerade einmal 833 Grundwehrdiener im militärischen Einsatz. Österreich hat bereits jetzt de facto ein berufsheer mit Wehrpflichtkomponente. Und: Beim Berufsheer, das Verteidigungsminister Darabos vorgestellt hat, ist die Verankerung im Volk mit Miliz- und Zeitsoldaten vollends gesichert.
#86
In Deutschland haben ein Viertel der Bewerber die Ausbildung bei der Bundeswehr nach den ersten zwei Wochen abgebrochen!
Man darf der Frankfurter Allgemeinen Zeitung glauben, wenn sie schreibt: "Unerwartet viele Freiwillige".
#87
Mehr als 20 Jahre lang haben Generationen von Grundwehrdienern unsere Grenzen geschützt!
Das stimmt zwar teilweise - aber zu welchem Preis? Die Zahl der Suizide junger Rekruten beim Grenzeinsatz ist erschreckend hoch, in 15 Jahren habe sich 19 Soldaten das Leben genommen. Auch der Sinn des Grenzeinsatzes ist zu hinterfragen. So wurden 2009 nur 9 Illegale Einwanderer aufgegriffen - das ergibt Kosten von 1,4 Millionen Euro pro Aufgriff.

Was die Rekruten an der Grenze sonst so treiben, darüber gibt folgendes Video vielleicht einen kleinen Aufschluss:


Und der Einsatz des Bundesheers im Jugoslawienkrieg zur Grenzsicherung? Da wurden zwar Grundwehrdiener eingesetzt, die waren aber gerade mal zwei Monate beim Heer. Im Fall des Falles wären sie als nicht ausser Kanonenfutter gewesen.
#88
Eine Berufsarmee bedeutet weniger Leistung für mehr Geld. Weniger Soldaten zu deutlich höheren Kosten ist ein schlechtes Angebot.
Das Kostenargument also wieder. Ich darf nochmals auf die Studie der Industriellenvereinigung hinweisen: Laut dieser Studie sei "aus ökonomischer Sicht ein Berufsheer einer Wehrpflichtarmee vorzuziehen, da sie volkswirtschaftlich kostengünstiger und ordnungspolitischer sinnvoller als eine Wehrpflichtarmee sein". Weiters: "Bei tiefergreifender Analyse fallen die Personalkosten in der Berufsarmee nicht höher aus als bei der Wehrpflicht." Ein Wehrpflichtheer zeichne sich durch "ineffizienten Einsatz von Arbeit und Kapital" aus.
#89Das Beispiel Belgien zeigt: Berufsarmeen führen zu einer Überalterung des Personals! 
Der EU-Militärexperte Joe Coelmont, selbst langjähriger Brigadegeneral des Belgischen Heeres, steht zum Berufsheer - nachzulesen hier.
#90
Berufsameen sind dazu da, um Kriege zu führen. Die USA haben die Wehrpflicht im Zuge des Vietnamkriegs abgeschafft.
Das ist schlichtweg falsch. Gerade die Abschaffung der Wehrpflicht hat zu einem rascheren Ende des Vietnamkriegs geführt. Detaillierte Informationen zur Wehrpflichtdebatte rund um den Vietnamkrieg können interessierte in Roland Försters Buch "Die Wehrpflicht" nachlesen.

#91
Eine Berufsarmee gefährdet den Wirtschaftsstandort im ländlichen Raum.
und
#92
Ohne Grundwehrdiener kommt es zu Kasernenschließungen.
Dadurch kommt es zu Ausfällen für Zulieferbetriebe!
Ich fasse diese zwei Argumente zusammen, weil sie sich inhaltlich nicht unterschieden - so wie viele andere der angeblichen 100 Argumente. Die Förderungen des ländlichen Raumes erfordern eine gesamtpolitische Strategie, keinesfalls aber die Wehrpflicht. Es sei dann, man mag argumentieren, dass Rekruten die Wirtshäuser beleben...
#93
Bei einem freiwilligen Sozialjahr ist immer die Frage, ob sich genügend Bewerber melden. Bleiben die Bewerber aus, bricht das System zusammen.
Beispiel Deutschland: Auf 35.000 ausgeschrieben Stellen für den Bundesfreiwilligendienst meldeten sich 48.000 Anwerber - und das bei einer Bezahlung von nur knapp 350 Euro. Mittlerweile sind eben jene 48.000 Vereinbarungen unterzeichnet. Um den Zustrom an ÖsterreicherInnen für das freiwillige soziale Jahr braucht man sich also keine Sorgen zu machen.
#94
Großbritannien hat eine Berufsarmee und muss bereits vor Gefängnissen und in Pubs rekrutieren, weil sich nicht genügend Freiwillige melden!
Mit ausreichend guter Bezahlung und einer beruflichen Perspektive lassen sich auch genügend Berufssoldaten finden.
#95Während in Deutschland früher 90.000 Zivildiener tätig waren, sieht der Bundesfreiwilligendienst gerade noch 35.000 Stellen vor.
Stimmt nicht. Stand August 2010 leiteten etwa 50.000 junge Männer Zivildienst in Deutschland. Aktuell sind 48.000 "Bufdis"im Einsatz.

#96
1.386 Euro brutto für einen sozialen Dienst sind Lohndumping im Sozialbereich!
Wie jetzt? 1.386 Euro sind Lohndumping, aber 301 Euro - die derzeitige Grundvergütung für Zivildiener - sind Bürgerpflicht und somit gerechtfertigt?
#97
Freiwillige können jederzeit den Dienst quittieren, wenn sie keine Lust mehr haben. Den Einrichtungen droht das Planungschaos!
Vollkommen richtig! Weg mit der Selbstbestimmung, her mit dem Zwangsdienst - damit die Organisationen Planungssicherheit haben. Wir schreiben übrigens gerade das Jahr 2013 - nicht 1750.
#98
Berufsarmeen rekrutieren sich aus sozialen und gesellschaftlichen Randgruppen.
Dieser Argumentation zufolge besteht das Bundesheer bereits jetzt aus eben jenen Randgruppen - arbeiten doch aktuell (Stand 2010) 16.500 hauptberufliche Soldaten dort.
#99
Unser Sozialsystem ist nicht konjunkturabhängig.
Bezahlte Helfer schon!
Ein letztes Mal sei auf die deutschen Bufdis verwiesen.
#100
Viele europäische Berufsarmeen mussten die Anforderungen bei den Aufnahmetests heruntersetzen, um Bewerber zu finden!
Als finales Argument hätte ich mir jetzt einen richtigen Kracher erwartet, beispielsweise das Konzept der ÖVP zur Reform der Wehrpflicht und des Zivildienstes. Da das aber nach wie vor nicht existiert, bleibt wohl nichts anderes über, als die alte Leier der fehlende Soldaten zu bemühen. In den vergangenen 99 Argumenten wurde die allerdings hinreichen widerlegt, so dass ich mir diese Wiederholung jetzt spare.

Fazit: Die genannten 100 Argumente schmelzen bei näherer Betrachtung auf knapp 20 zusammen, die mantra-artig immer und immer wieder wiederholt werden. An ihrer inhaltlichen Falschheit ändert sich dadurch aber nichts. Dass ein Großteil der Argumente den Zivildienst oder den Katastrophenschutz betrifft, sollte eigentlich das beste Argument für die Abschaffung der Wehrpflicht sein - den für die lassen sich sogar vom Personenkomitee kein einziges, sinnvolles und einer genaueren Überprüfung standhaltendes Argument finden.

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